Guidance zum Verzicht auf Sentinel-Node-Biopsie
Erstellt durch (in alphabetische Reihenfolge)
Daniel Egle, Daniela Kauer-Dornauer, Florian Fitzal, Michael Gnant, Gabriel Rinnerthaler, Kerstin Wimmer
Stand: 10. Juli 2025
Klinische Situation:
Bei welchen Patient:innen mit bildgebend und klinische negativen Lymphknoten kann auf eine Sentinellymphknotenbiopsie onkologisch sicher verzichtet werden?
Literaturzusammenfassung:
In den beiden zentralen Studien SOUND und INSEMA erfolgte prospektiv bei klinisch und sonografisch nodal-negativer Axilla und geplanter brusterhaltender Operation eine Randomisierung zu einer Sentinel-Lymphknotenbiopsie (SNLB) versus Verzicht auf eine Axillachirurgie. Die zentrale Fragestellung war, ob bei einer hochqualitativ durchgeführten Sonographie mit unauffälligem Befund der Axilla auf das chirurgische axilläre Staging verzichtet werden kann, ohne die onkologische Sicherheit im Vergleich zur Sentinel-Lymphknotenbiopsie zu beeinträchtigen.
In der SOUND Studie wurden Patient:innen jeglichen Alters mit einem Mammakarzinom bis zu 2 cm Größe (cT1) und im Ultraschall negativer Axilla eingeschlossen, die einer brusterhaltenden Operation sowie einer adjuvanten Radiotherapie unterzogen werden sollten1. Ein Ausschlussgrund waren beidseitige Mammakarzinome, multizentrische Tumore bzw. extensive multifokale Karzinome. Die Patient:innen wurden 1:1 zur Durchführung einer SLNB (n=708) oder zum Weglassen derselben (n=697) randomisiert. Ein Großteil der insgesamt 1463 eingeschlossenen Patient:innen war älter als 50 Jahre (≥ 50 Jahre 81%; ≥ 65 Jahre: 37%), 79% waren postmenopausal, 88% hatten einen Hormonrezeptor HER2-negativen Tumor und 82% ein G1 oder G2 Karzinom. Bei 64% lag das Ki-67 ≤ 20%. In der Gruppe der Patient:innen, die eine SLNB unterzogen wurden, waren in 14% Lymphknoten befallen, wobei in 5% der Fälle eine axilläre Mikrometastase, in 8% ein pN1 und in 1% ein pN2-Stadium vorlag. Nach einem Follow-Up von 68,4 Monaten fand sich zwischen den beiden Gruppen kein Unterschied in der lokoregionären Rezidivrate (SLNB: 1,7% versus non-SLNB: 1,6%). Das 5-Jahres-Fernmetastasen-freie Überleben betrug 97,7% in der SLNB-Gruppe und 98,0% in der non-SLNB-Gruppe (p = 0.67). Bemerkenswert ist die hohe Rate an chemotherapierten Patient:innen, 20,1% der Patient:innen aus der SLNB-Gruppe hatten Chemotherapie erhalten, während in der non-SLNB-Gruppe immer noch 17,5% Chemotherapie verabreicht worden ist. Bezüglich der adjuvanten Strahlentherapie war im Rahmen der SOUND-Studie eine Ganzbrustbestrahlung empfohlen worden, wobei die Qualitätssicherung unvollständig war und Feldkonfigurationen sowie das Ausmaß von Level-II-Bestrahlung zum Teil unklar blieben.
In die INSEMA Studie konnten Patient:innen mit einem Mindestalter von 18 Jahren und einem T1 oder T2 Tumor mit klinisch und radiologisch negativer Axilla eingeschlossen werden2. Ein Großteil der insgesamt 5154 eingeschlossenen Patient:innen waren älter als 50 Jahre (≥ 50 Jahre 89%; ≥ 60 Jahre: 57%), 90% hatten klinische einen T1 Tumor (postoperativ lag der Anteil an T1 Tumoren bei 79%), 95% hatten einen Hormonrezeptor HER2-negativen Tumor und 96% ein G1 oder G2 Karzinom. Bei 87% lag das Ki-67 ≤ 20% und 73% ein NST Karzinom. In der SNLB-Gruppe wurden bei 85% keine pathologischen Sentinellymphknoten detektiert (in 86% bei cT1 und 79% bei cT2), bei 4% ein pN1mi(sn), bei 11% ein pN1 und bei <1% ein pN2(sn). Zwischen der SNLB und nicht-SNLB Gruppe fand sich kein Unterschied im invasiven Krankheits-freien Überlebens (per protocol Population HR 0,91, 95% CI 0,73-1,14; ITT Population HR 0,95, 95% CI 0,77-1,17). Postoperativ haben Patient:innen eine Whole breast Irradiation (WBI) erhalten. Eine Teilbrust-Bestrahlung war im Studiendesign nicht vorgesehen, ebenso wenig eine nodale Radiotherapie oder eine 5 Tages-Radiatio nach dem Fast Forward Prinzip3. Wie viele der eingeschlossenen Patient:innen eine axilläre Radiatio hatten, ist derzeit nicht ausreichend publiziert.
Die Hauptpopulation der in den beiden genannten Studien untersuchten Patient:innen ist durch folgende Charakteristika geprägt: Alter ≥ 50 Jahre, postmenopausal (diese Daten liegen nur aus der SOUND Studie vor), cT1N0 Karzinom mit Hormonrezeptor-positivem und HER2-negativem Rezeptorstatus sowie G1 oder G2 mit einem Ki-67 < 20%. Die Studienergebnisse lassen sich deshalb vorrangig für diese Patient:innenpopulation zur klinischen Entscheidungsfindung heranziehen.
Beide genannten Studien legen nahe, dass bei negativer Axillasonographie in der zuvor genannten Low-risk Subgruppe die Axillarchirurgie weggelassen werden kann, wenn die dann fehlende histopathologische Information über den Lymphknotenstatus die postoperative Behandlung nicht beeinflusst.
Für beide Studien liegen keine Subgruppenanalysen in Bezug auf die cT1 Substadien cT1a+b vs cT1c. Eine große retrospektive Analyse der SEER-Datenbank untersuchte das Verhältnis zwischen Tumorgröße und Nodalpositivität bei luminalen Mammakarzinomen4. Dabei wurde ein Unterschied sich zwischen pT1a+b und cT1c mit 10% vs 26% positiven Lymphknoten klar. Auch wenn entsprechende Daten aus der SOUND- und INSEMA-Studie fehlen, ist eine solche Korrelation mit der Tumorgröße wahrscheinlich.
Im Falle eines nachgewiesenen Nodalbefalls würde sich die Patient:in für die adjuvante Behandlung mit Ribociclib und gegebenenfalls mit Abemaciclib klassifizieren. In der NATALEE-Studie, in welcher Ribociclib adjuvant untersucht wurde, konnte das 4-Jahres-invasivfreie Überleben um knapp 5% reduziert werden5. Eine spezifische Subgruppenauswertung für die Population pT1N1 liegt nicht vor, der Effekt einer adjuvanten Therapie mit Ribociclib scheint jedoch konsistent über alle vordefinierten Subgruppen.
Bewertung:
Patient:innen mit folgenden Charakteristikern sollten über die Möglichkeit des Weglassens der SLNB informiert werden:
- Alter ≥ 50 Jahre
- Postmenopausal
- Tumorgröße in der präoperativen Bildgebung < 2cm (cT1)
- Klinisch und sonografisch unauff. Axilla. Die Untersuchung sollte durch eine erfahrene Radiolog:in erfolgen
- KEINE Multizentrizität od extensive Multifokalität
- Duktales (NST) Hormonrezeptor-positives HER2 negatives Karzinom
- G1 oder G2
- Ki-67 < 20%
Die Empfehlung, ob in der speziellen Situation ein Weglassen der SNLB eine Option darstellt, sollte im interdisziplinären Tumorboard erfolgen.
Folgende Aspekte sollten in die Beratung einbezogen werden:
Pro SNLB:
- Alternative Bestrahlungsoptionen möglich:
- „Fast Forward“ Radiotherapie
- Teilbrustbestrahlung
- Möglichkeit des Bestrahlungsverzichtes in ausgewählten Situationen besonders geringen Risiko‘s
- Im Falle einer nachgewiesen Makrometastasierung besteht die Option einer adjuvanten Behandlung mit einem CDK4/6 Inhibitortherapie, welche mit einer Reduktion des Rezidivrisikos assoziiert ist.
- Möglichkeit an einer Teilnahme an einer klinischen Studie (im Falle einer nodal-positiven Erkrankung)
- Minimale Morbidität und Aufwand der SLNB
Pro Verzicht auf Axillachirurgie:
- Insgesamt niedrige Rate an Patient:innen, bei welchen bei einer SNLB eine positiver Lymphknoten detektiert wurde (15% in INSEMA Studie und 17% in SOUND Studie). Bei kleinen Tumoren (cT1a und cT1b ist eine niedrigere Positivitätsrate anzunehmen
- Wenn die Patient:in im Falle einer Lymphknotenpositivität keine Kandidat:in für eine adjuvante Therapie mit einem CDK4/6 Inhibitor darstellt.
- Keine Daten für alternative Bestrahlungsoptionen zur moderat hypofraktionierten Standardbestrahlung. Der Verzicht auf eine SNLB sollte zu keiner Eskalation der postoperativen Bestrahlung führen.
- Die „Kandidat:innen“gruppe der Patient:innen für den Verzicht auf SLNB ist indikatorisch überlappend mit der Möglichkeit der ultrahypofraktionierten Bestrahlung, aber auch mit dem Bestrahlungsverzicht in ausgwählten Lowest-risk Subgruppen. Dies muss in das shared-decision making einbezogen werden.
Die Entscheidung für oder gegen eine SLNB muss individuell in einem „shared-decision making process“ mit der Patient:in getroffen werden. Eine allgemeingültige Empfehlung kann derzeit nicht getroffen werden.
Literatur:
1 Gentilini O. D. et al.: Sentinel Lymph Node Biopsy vs No Axillary Surgery in Patients With Small Breast Cancer and Negative Results on Ultrasonography of Axillary Lymph Nodes: The SOUND Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol 2023;9(11):1557-1564. https://doi.org/10.1001/jamaoncol.2023.3759
2 Reimer T. et al.: Axillary Surgery in Breast Cancer – Primary Results of the INSEMA Trial. N Engl J Med 2024. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2412063
3 Hildebrandt G. et al.: Central Review of Radiation Therapy Planning Among Patients with Breast-Conserving Surgery: Results from a Quality Assurance Process Integrated into the INSEMA Trial. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2020;107(4):683-693. https://doi.org/10.1016/j.ijrobp.2020.04.042
4 Sopik V.Narod S. A.: The relationship between tumour size, nodal status and distant metastases: on the origins of breast cancer. Breast Cancer Res Treat 2018;170(3):647-656. https://doi.org/10.1007/s10549-018-4796-9
5 Slamon D. et al.: Ribociclib plus Endocrine Therapy in Early Breast Cancer. N Engl J Med 2024;390(12):1080-1091. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2305488
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